Im Fiat Cinquecento machten die Italiener Urlaub und Kinder, Fiat-Chef Agnelli war ihr ungekrönter König.
Jetzt verlässt die italienische Industrie-Ikone Turin in Richtung Niederlande - das Ende einer großen Liebe.
Die Familie Agnelli, die seit mehr als hundert Jahren den einstigen Auto- und heutigen Misch-Konzern Fiat beherrscht,
will den Sitz ihrer Holding-Gesellschaften, der Exor und der Giovanni Agnelli e.C. Sapaz, von Italien in die Niederlande verlegen.
Eine Aktionärsversammlung soll das am 3. September abnicken.
Zwar kann jeder Fiat-Anteilbesitzer, der den Umzug ablehnt, seine Aktien dann für jeweils 31,2348 Euro zurückgeben und die
Aktion damit womöglich blockieren. Aber solange der dann fällige Betrag nicht mehr als 400 Millionen Euro beträgt, wäre auch
das kein Problem. Die Agnelli-Sippe und etliche große Investoren, darunter Bill Gates und der englische Investmentbanker Jacob
Rothschild, haben sich abgesprochen, dann die Rückgabe-Aktien zu kaufen. Die Sache scheint also gelaufen. Nachdem schon die
Tochterfirmen, wie Fiat Chrysler Automobiles, Ferrari und CNH Industrial, abgewandert sind, folgen jetzt die Mütter.
Ökonomisch ist das verständlich, denn für solche Konzerne sind die Niederlande das, was für Privatmilliardäre etwa die
Kaiman-Inseln sind: Steueroasen.
Für die Volksseele im Stammland Italien ist es dagegen ein schwerer Schlag, ausgerechnet jetzt, wo dort ohnehin die gesamte
Wirtschaft in einer tiefen Krise steckt. Denn Fiat ist ja nicht irgendein Unternehmen, Fiat ist Italien. Ein Fiat war das erste Auto
für fast alle Italiener - und für viele auch das letzte. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren sind ganze Familien fröhlich-
zusammengepfercht im Fiat 500 am Wochenende ans Meer gefahren. Im "Cinquecento" wurden Italiener gezeugt und manchmal
geboren. Der Fiat war "das" Auto der Italiener, und die Fabbrica Italiana Automobili Torino ("Italienische Automobilfabrik Turin")
war "das" Unternehmen. "Was gut ist für Fiat, ist gut für Italien", hieß es immer. Doch dieser Satz trifft nun ja offenkundig nicht
mehr zu. Wenn er überhaupt je zutraf, dann allenfalls bis zum 24. Januar 2003.
[spiegel.de]